Neue Chancen für Introvertierte

 

Früher war alles besser. Diesen Satz höre ich sehr oft. Meist steckt eine Verklärung der Vergangenheit dahinter. Oft aber auch ein Körnchen Wahrheit.  In der vorindustriellen Zeit lebten die meisten Menschen in Dörfern. Jeder kannte jeden. Man wusste um die Stärken des anderen, aber auch um seine Defizite. Niemand musste sich verstellen. Mit der aufkommenden Industrialisierung wanderten viele Dorfbewohner als Arbeitskräfte in die Städte. Plötzlich mussten sie andere Menschen schnell davon überzeugen, dass sie der richtige Mensch für einen freien Job sind. Das Zeitalter der Blender und Dummschwätzer begann. Diejenigen machten Karriere, die sich am besten verkaufen konnten und nicht die Menschen, die am besten für den Job geeignet waren. Die Extravertierten schienen klar im Vorteil, wenn es um Job und Karriere ging. So verwundert es nicht, dass introvertierte Kinder immer öfter zu hören bekamen „geh doch mal ein bisschen aus dir raus“.

Introvertierte empfinden ihre Introvertiertheit oftmals als einen Mangel. Spüren sie doch selbst, dass die anderen erfolgreicher sind. Dabei sind Introvertierte sehr oft, sehr kompetente Mitarbeiter. Sie können es nur nicht so gut kommunizieren, wie extravertierte Menschen. Bei gleicher Leistung und gleicher Qualifikation wird folglich meist der Extravertierte Karriere machen.

Leider machen auch sehr viele Extravertierte ohne gute Leistungen in einem Unternehmen Karriere. Einfach, weil sie es verstehen ihre Mitmenschen zu blenden. Die Pfeifen mit den guten Jobs bleiben solange in einem Unternehmen, bis ihre Inkompetenz offensichtlich wird. Dann wechseln sie. Oft auf eine noch besser dotierte Position. Inkompetente Menschen wissen meist selbst gar nicht, dass sie inkompetent sind. Unwissenheit führt oft zu mehr Selbstvertrauen. Dieses, als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnete Phänomen kann man sehr gut im Straßenverkehr beobachten. Die meisten Menschen halten sich für gute Autofahrer oder noch bessere Fußballtrainer. So kommt es, dass die Pfeifen oft den Kollegen oder den Umständen die Schuld geben, wenn sie wieder einmal den Job wechseln müssen. Eigenes Versagen ziehen sie nicht einmal ansatzweise in Betracht.

In früheren Zeiten konnten Pfeifen ungehindert von Job zu Job springen. Im Zeitalter von Social Media ist das nicht mehr so einfach. Heute recherchiert der Personalchef auf Facebook, Xing und Co. Dezent erkundigt er sich bei ehemaligen Kollegen, ob der Bewerber tatsächlich so gut ist, wie er selbst behauptet. Längst wissen die Verantwortlichen, dass sie auch gezielt introvertierte Menschen ansprechen müssen, um geeignete Bewerber zu rekrutieren.

Social Media ist demnach gut für die Introvertierten.

 

© Frank Meinert